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Gegen grünen Kapitalismus

Der Kapitalismus hat sich am Ende der Geschichte selbst ins Bein geschossen, es liegt nun an Jugendlichen weltweit, das ohnehin schon kaputte System endgültig zu erschüttern.

HÊLÎN ASÎ

Dieses Jahr haben die Diskussionen und Kämpfe für das Klima enorme Aufmerksamkeit und Reichweite erlangt. Die Wichtigkeit und der Ernst der Lage, obwohl schon lange bekannt, wurden in den letzten Monaten weltweit besonders durch Jugendliche betont. Die „Fridays for Future“-Bewegungen sind zu einer nennenswerten und bemerkenswert jungen globalen Massenbewegung herangewachsen – mit lokalen Aktionen unter anderem in vielen Ländern Europas, in Australien, in China, in Indien, in Japan, in der Türkei, in Rojava, Südkorea, Thailand, Südafrika, Uruguay, Argentinien oder Mexiko. Die wöchentlichen Streiks werden von jungen Menschen angeführt und organisiert. Die Ziele sind konkret: Schnellstmöglicher Kohleausstieg, vollständiges Umsteigen auf erneuerbare Energien, konsequente Versteuerung von Treibhausgasemissionen und die Einhaltung der diesbezüglichen internationalen Abkommen. Die globale Erwärmung soll die Grenze von 1,5 Grad Celsius nicht überschreiten. Inzwischen ist vielen klar, dass es sich hierbei nicht um unrealistische, utopische Ziele handelt, sondern um den einzigen Ausweg aus der jetzigen Lage.

„Rezo“-Effekt

Bei den Protesten wird klar gemacht, dass es keine lebenswerte Zukunft geben wird, wenn es so weiter geht wie bisher. Mit ähnlichen Worten haben ca. 100 bekannte „YouTuber“ kurz vor der Europawahl am Sonntag einen Aufruf an ihre Abonnenten gestartet, in denen sie sich auf die Klimakrise beziehen und davon abraten, Parteien zu wählen, die diesbezüglich keine Perspektive haben, tatenlos zusehen oder sich gar weigern, die Krise anzuerkennen. Nach dem enormen Erfolg der Grünen in Deutschland, die ihren Stimmenanteil bei der Europawahl verdoppeln konnten und damit die SPD überholten, spricht man sogar vom „Rezo“-Effekt – der Youtuber Rezo hatte zuvor den Aufruf veröffentlicht und gestartet. Ohne Zweifel scheint das Klima gerade eines der wichtigsten Themen für die Jugend in Deutschland zu sein.

Ein nicht zu unterschätzender Teil der Gesellschaft hält indessen an der Leugnung und Verharmlosung des Klimawandels fest. Die Klimabewegungen werden mit Vorwürfen, Anschuldigungen, und Spott bombardiert. Besonders vom rechten, konservativen, aber auch wirtschaftsliberalen Lager wird versucht, den Klimawandel entweder zu verleugnen oder dessen Auswirkungen zu verharmlosen und so darzustellen, als sei die Krise im Rahmen der derzeitigen Zustände lösbar. Die Forderungen der Klimabewegungen werden bewusst verzerrt: So heißt es oft im höhnischen Ton, die Streikenden wollten in die Steinzeit zurück, sie würden den „Fortschritt“ aufhalten, oder würden unter dem Streikvorwand einfach nur Schule schwänzen wollen.

Fest steht, die Klimaaktivist*innen müssen gerade Delegitimierungen jeglicher Art standhalten. So sprach die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer kurz nach der Wahl den Youtubern die Legitimität ihrer politischen Positionierung ab. Und von Rechten heißt es immer wieder, hinter der Klimabewegung stünden irgendwelche versteckten Machtinteressen, und Aktivistinnen wie Greta Thunberg seien nur Marionetten eines Machtspiels.

Scheitern der westlichen Zivilisation

Es ist kein Wunder, dass Menschen eine so lebendige Fantasie entwickeln, wenn es darum geht, den Tatsachen in die Augen zu sehen, vor allem dann, wenn die Realität so sehr im Widerspruch zum eigenen Lebensstil, zu den eigenen politischen Positionen und zum jetzigen Werte- und Wirtschaftssystem steht. Die Klimakrise enthüllt letzten Endes das Scheitern des angeblichen wirtschaftlichen und technologischen „Fortschritts“ der westlichen Zivilisation, der sowohl von Liberalen als auch Rechten hochgepriesen wird. Hier möchte ich gerne den revolutionären, anti- kolonialistischen Denker Frantz Fanon zitieren, der schon vor 60 Jahren festgestellt hat: „Ganze Jahrhunderte lang hat Europa nun schon den Fortschritt bei anderen Menschen aufgehalten und sie für seine Zwecke und zu seinem Ruhm unterjocht; ganze Jahrhunderte hat es im Namen seines angeblichen ‚geistigen Abenteuers‘ fast die gesamte Menschheit erstickt. Seht, wie es heute zwischen der atomaren und der geistigen Auflösung hin und her schwankt.“

Der Mehrheit ist inzwischen klar, dass das neoliberale System, das sich Freiheit und Fortschritt auf die Fahne schreibt, spätestens jetzt gescheitert ist. Das, was die Ausbeutung von Arbeiter*innen, der weltweite Hunger und die immer größer werdende Armut schon seit Jahrzehnten zeigen, findet in der Klimakrise ihren letzten Beweis. Der Kapitalismus hat den Menschen nicht nur von der (eigenen) Natur entwurzelt und entfremdet, sondern die Natur so sehr angegriffen und zerstückelt, dass allen Lebewesen die Lebensgrundlage genommen wird. Die Klimakrise ist keine natürliche Entwicklung, auch ist sie nicht, wie einige behaupten, das Resultat von Überbevölkerung. Die Klimakrise ist das Resultat unbegrenzter Produktion, uneingeschränkter Freiheiten des Marktes und von Konsumorientiertheit. Sie ist eine Frage der Wirtschafts- und Energiepolitik, und deshalb eine Frage des Systems, in dem wir leben. Alle Statistiken deuten darauf hin, dass der Klimawandel menschengemacht ist und die Treibhausgasemissionen besonders auf den übermäßigen Verbrauch fossiler Brennstoffe bei der massenhaften Warenproduktion im Neoliberalismus zurückgehen.

Den Kampf nicht an den gegebenen Verhältnissen ausrichten

So ist es fragwürdig, ob der Erfolg der Grünen bei der Europawahl irgendetwas ändern wird. Abgesehen davon, dass die Grünen auch in der Bundesregierung früher keine nennenswerten Schritte getätigt haben, kann ein Ausgang aus den jetzigen ökologischen Katastrophen nicht an den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgerichtet sein. Ein ökologischer Kampf muss explizit anti-kapitalistisch sein und darf keine Kompromisse im Sinne des Kapitals eingehen.

Der Gewinn grüner Parteien in Europa ist also nicht unbedingt ein Gewinn für den gegenwärtigen Kampf der vielen jungen Menschen, die sich an der Basis für das Klima einsetzen. Im Gegenteil stellen die nächsten Jahre die Bewegung erst recht vor große Aufgaben: Sie darf sich nicht auf parlamentarische Politik verlassen und muss konsequent gegen einen „grünen Kapitalismus“ kämpfen.

Die Bewegungen dürfen sich nicht beugen, und der einzige Weg eines konsequenten Kampfes ist es, eine positive, sozialistische Perspektive für die Zukunft zu entwickeln, also eine reale Alternative, für die es sich lohnt, zu kämpfen. Die Forderungen und Ziele sollten daher nie nur negativ formuliert sein, sondern auch konkrete positive Aspekte für eine lebenswerte, schöne Zukunft für alle enthalten. Wer keine Alternative präsentieren kann, wird kein Licht am Ende des Tunnels erblicken und sich in wiederkehrenden Irrwegen verlieren.

Potenzial für eine gemeinsame Bewegung

Das Erschaffen einer Alternative, die alle Teile der Gesellschaft zusammenbringt und miteinbezieht, kann unglaublich viele Grenzen überwinden. Am Beispiel der selbstverwalteten Strukturen in Rojava/Nordsyrien zeigt sich die Stärke der politischen Selbstverwaltung. Menschen werden als politische Subjekte ernst genommen und kommen zu Wort bei den Angelegenheiten, die sie betreffen. Es bedarf einer solchen Form von Basisarbeit und -organisierung, damit sich Spaltungen innerhalb der Gesellschaft lockern können. Besonders beim Thema Klima wird eine stark polarisierende Sprache benutzt, wo schnell die „Anderen“ beschuldigt und verurteilt werden. Doch durch diese Annäherung kann sich die Ablehnung sogar verstärken, denn sie bemüht sich nicht, Menschen für sich zu gewinnen. Nur wenn Menschen da abgeholt werden, wo sie stehen, und als politische Subjekte in diesem Kampf wahr- und ernstgenommen werden, kann ein blühender Kampf entstehen.

Die Tatsache, dass der Klimawandel ausnahmslos alle auf dieser Erde betrifft und betreffen wird, kann diesbezüglich auch als Chance gesehen werden. Die Klimakrise hat nämlich das Potenzial, alle möglichen Bewegungen für einen gemeinsamen Kampf zu mobilisieren. Denn welche Utopien wir auch kreieren, wir werden sie in einer kaputten und zerstörten Welt nicht realisieren können. Auch das junge Alter der Aktivist*innen ist ein großer Vorteil. Schüler*innen, Kinder, Jugendliche, Studierende, deren Energien sonst ausgebeutet und deren Rebellionen oft bestraft und unterjocht werden, organisieren sich jetzt und werden von der ganzen Welt gehört. Innerhalb weniger Monate sind Millionen von Menschen weltweit aufgestanden, auch wenn alles klein angefangen hat.

Ökologischer Kampf kann nur internationalistisch sein

„System change not climate change“ heißt es auf vielen „Fridays-for-future“-Protesten. Diesen Slogan sollten wir beim Wort nehmen und eine Art des Zusammenlebens organisieren, die für alle auf der Welt lebenswert ist. Der ökologische Kampf kann nur internationalistisch sein, nicht nur aus dem Grund, dass regionale Umstellungen nicht sehr viel bringen, sondern auch, weil wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass die extremen Treibhausgasemissionen der sogenannten Industrieländer vor allem wirtschaftlich ärmere Regionen treffen, denen die Mittel fehlen, sich vor den Auswirkungen zu schützen. Die angeblich fortschrittliche westliche Zivilisation ist nicht nur für die eigene Krise, sondern für die Degradation der Natur überall verantwortlich. Der Kapitalismus hat sich am Ende der Geschichte selbst ins Bein geschossen, es liegt nun an Jugendlichen weltweit, das ohnehin schon kaputte System endgültig zu erschüttern.

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