Das Interview wurde zuerst in der aktuellen Ausgabe der Arranca abgedruckt.
Das Interview führte Lukas aus der Rojava-AG der IL Berlin.
Die Internationalistische Kommune ist Teil der Selbstverwaltungsstrukturen der Autonomen Föderation Nordsyrien/Rojava. Aktivist*innen aus verschiedenen Ländern haben dort eine internationalistische Akademie aufgebaut. Dazu gehört neben politisch-kultureller Bildung, Sprachunterricht und kollektivem Leben auch die Kampagne «Make Rojava Green Again».
¿Hallo Thomas, du lebst gerade in Rojava und engagierst dich in der Internationalistischen Kommune. Was ist deine Motivation dort mitzuarbeiten?
Thomas: Ich bin seit ungefähr einem Jahr in Rojava und seitdem in der Internationalistischen Kommune. In Rojava findet gerade die Revolution unserer Zeit, des 21. Jahrhunderts, statt. Davon wollte ich ein Teil werden und davon lernen, für die Kämpfe in der BRD, in Europa. Ich weiß, vieles hier ist anders als in den kapitalistischen Zentren, aber die Grundlagen der Revolution in Rojava und ganz Kurdistan sind die grundlegenden Werte des Sozialismus. Ideologisch knüpft die Revolution an die Theorien von Intellektuellen wie Federici, Marx, Foucault, Bookchin und vielen weiteren an.
Abdullah Öcalan hat in seinen Werken diese Theorien auf die Gesellschaft des Mittleren Ostens übertragen und sie weitergesponnen. Warum können wir das nicht auch tun? Also die grundlegenden Linien der Revolution verstehen und diese in einen europäischen Kontext setzen – das ist der Grund, warum ich hier bin. Aber natürlich sehe ich auch eine allgemeine internationalistische Verantwortung, an dieser Revolution teilzunehmen.
¿Wie wird denn Ökologie mit den anderen Säulen dieser Revolution – der radikalen Demokratie und dem Feminismus – zusammengedacht?
Die verschiedenen Säulen der Revolution können nicht voneinander losgelöst gedacht werden. Denn sie sind zentrale Pfeiler einer Alternative zum bestehenden System der kapitalistischen Moderne, der Zerstörung der Natur, Unterdrückung der Geschlechter und Spaltung der Gesellschaften durch Nationalismus und Rassismus. Die Mentalität, mit welcher die Natur ausgebeutet, vermessen, zerteilt wird, ist die gleiche, wie die, mit der die Gesellschaft und die Frau ausgebeutet und unterdrückt werden. Es ist die patriarchale Mentalität von Herrschaft, Hierarchie, Objektivierung und Inwertsetzung.
Ganz praktisch gesagt: Wir können die ökologischen Probleme unserer Zeit nicht lösen ohne eine demokratische, selbstverwaltete Gesellschaft, die auf Kommunen und regionalen und kollektiven Formen des Wirtschaftens beruht. Nur eine aktive Gesellschaft, die ihre Beziehungen in Räten und Versammlungen organisiert, kann bedürfnisorientiert und auf eine ökologische Weise ihre Wirtschaft gestalten – jenseits der Logik kapitalistischer Konkurrenz und permanentem Wachstum.
In der Jineoloji (kurdisch: Wissenschaft der Frau, spezifische Form des Feminismus in Kurdistan), geht es deshalb viel darum, sich ökologische und kollektive Formen des Wirtschaftens wieder anzueignen. Es geht darum, das gesellschaftliche Wissen über die Zusammenhänge der Natur, das durch Kapitalismus, Patriarchat und Nationalstaat versucht wurde zu vernichten, wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein zurückzuholen. Die Frage ist, wie wir den Menschen und die Gesellschaft als Ganzes im Verhältnis zur Natur begreifen und uns diesem annähern. Dabei sehen wir diese drei Pfeiler nicht nur als Grundlage einer Alternative in weiter Zukunft, sondern als Charakteristika einer Gesellschaftsform, die früher bereits bestand und um die jeden Tag gekämpft wird.
¿Im Februar 2018 habt ihr eure Kampagne «Make Rojava Green Again» gestartet. Warum hat die Internationalistische Kommune einen ökologischen Schwerpunkt gewählt? Was sind die Hauptbestandteile der Kampagne?
Ökologie, der Aufbau einer ökologischen Gesellschaft ist grundlegender Bestandteil der Revolution. Die Diskrepanz zwischen dieser Grundlage und dem, was hier in Bezug auf Ökologie passiert, ist jedoch jeden Tag sichtbar und spürbar. Und viele Internationalist*innen kamen und kommen außerdem aus ökologischen Kämpfen. Daher lag es nahe, dass wir als Kommune auch in diesem Bereich versuchen, einen Beitrag zu leisten. Vereinfacht gesagt ist die Kampagne eine Brücke zwischen Arbeiten, Diskussionen und Erfahrungen hier vor Ort und Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Bewegungen auf der ganzen Welt.
Die Kampagne ist ein Raum, in welchem wir die Frage gemeinsam stellen und beantworten können, wie wir eine radikal demokratische und ökologische Gesellschaft aufbauen können. Nicht nur in Rojava, sondern weltweit. In Rojava versuchen wir gerade verschiedene konkrete Lösungen auf die ökologischen Herausforderungen zu finden. Ein Abwasserfiltersystem haben wir fast fertig gebaut. Eine Windkraftanlage ist in Planung. Mit Bäumen aus unserer kleinen Baumschule und gekauften Bäumen haben wir begonnen auf unserem Akademiegelände mehrere Hundert Bäume zu pflanzen. Gleichzeitig sind wir mit der Kampagne Teil einer Städtepartnerschaft zwischen der Stadt Derik in Rojava und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin. In dessen Rahmen werden Städteteilgärten angelegt und Grünflächen mit Bäumen bestückt.
Wir haben auch ein Buch über unsere Kampagne geschrieben. Darin gehen wir zum einen auf die ideologischen Fragen einer demokratischen und ökologischen Gesellschaft ein. Zum anderen liefern wir dort eine Menge an Hintergrundinformationen über die konkrete ökologische Situation in Rojava, die Herausforderungen, aber auch die Lösungsansätze, wie sie bereits in die Praxis umgesetzt werden.
¿Die Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland kämpft aktuell vor allem für einen sofortigen Kohleausstieg. Wie ist die ökologische Arbeit in Rojava mit dem gesellschaftlichen Aufbruch verbunden? Könnt ihr uns Erfahrungen weitergeben, wie sich verschiedene Kämpfe verbinden lassen zu einem revolutionären Projekt?
Also das wichtigste ist, dass es eine grundlegende Ideologie gibt, welche die verschiedenen Kämpfe verbinden kann. Eine Ideologie, welche auf allen Ebenen eine freie Gesellschaft skizziert und verhindert, dass Bewegungen getrennt voneinander existieren und sich im schlimmsten Fall gegenseitig in ihren Dynamiken einschränken. Diese ideologische Grundlage gibt die kurdische Bewegung mit der Perspektive einer demokratischen Moderne und dem Vorschlag einer Organisation der Gesellschaft im Demokratischen Konföderalismus.
Wenn wir also von einem revolutionären Projekt sprechen, dann ist das damit gemeint. In einem solchen Projekt können wir Fragen von «kleinen Schritten» und «großen Entwürfen», von «Reform» oder «Revolution» – die wir ja so oft als Widersprüche wahrnehmen – überwinden. Wenn jeder kleine Schritt in eine langfristige Strategie, in ein revolutionäres Projekt eingebettet ist, dann kommen wir mit jedem dieser Schritte unserem Ziel näher. Wenn wir nun auf die ökologischen Arbeiten schauen, dann ist es dort besonders sichtbar. Rojava ist noch kein ökologisches Vorzeigebeispiel. Und das wird es auch in naher Zukunft nicht werden.
Rojava ist deswegen spannend für die ökologischen Bewegungen auf der Welt, weil die ökologischen Arbeiten eingebettet sind in eine Revolution. Und die ist ein langer Prozess, der sich Fragen von Produktion und Konsum ebenso widmen muss, wie der Mentalität der Menschen – also, wie sie sich selbst im Zusammenhang der Welt, der Natur wahrnehmen und verstehen. Rojava ist in vielen Bereichen eine Revolution des Bewusstseins, und das gilt auch für das Thema Ökologie. Die Grundlagen bieten Theorien wie die Sozial-Ökologie von Murray Boockchin, in welcher die Unterdrückung des Menschen in einen Zusammenhang der Unterdrückung und Ausbeutung der Natur gestellt wird.
¿Du sagst, dass Rojava in Bezug auf Ökologie kein Vorzeigeland ist. Woran liegt das und wie geht ihr mit den Herausforderungen, die sich daraus ergeben, um?
Eigentlich sind alle Aspekte des Lebens mit ökologischen Fragen verbunden: Die Landwirtschaft Rojavas wurde stark durch die Politik des syrischen Regimes bestimmt. Es gibt Monokulturen an Weizen, Oliven, und in der Vergangenheit wasserintensiver Baumwollanbau. Der kurdischen Bevölkerung war es verboten, eigene Gemüsegärten anzulegen oder Bäume zu pflanzen. Die Landwirtschaft wurde durch Großgrundbesitzer kontrolliert, welche durch das syrische Regime eingesetzt wurden. Damit verbunden war ein hoher Einsatz von Düngern und Pestiziden, um den Ertrag zu maximieren.
Mit der Revolution bricht nun diese Macht und die Menschen bestimmen selbst wie sie Landwirtschaft betreiben. Die Herausforderung ist jetzt, ökologische Methoden einzuführen, die Landwirtschaft zu diversifizieren, nachhaltiger mit Wasser zu wirtschaften. Wir müssen Kooperativen aufbauen, mit denen gemeinsames und solidarisches Wirtschaften gefördert wird. Wie erfolgreich dieser Aufbau bisher ist, aber auch welche Mängel und Schwierigkeiten es gibt, hängt eng zusammen mit der allgemeinen Stärke der Gesellschaft zur Selbstorganisation. Und es hängt zusammen mit einem veränderten Bewusstsein über ökologische Zusammenhänge, mit der Einsicht, dass kooperative und dezentrale Formen der Landwirtschaft für die Gesellschaft und Natur als Ganzes am besten sind.
¿Der Aufbruch in Rojava findet ja leider vor dem Hintergrund des Krieges und der andauernden Bedrohung durch den türkischen Staat statt. Viele Menschen haben Angehörige verloren, kämpfen selbst noch, sind traumatisiert. Vor welche Probleme stellt euch diese Situation?
Der andauernde Krieg beeinflusst auf verschiedenste Arten die Arbeiten hier, auch die ökologischen. Zum einen ist die Wirtschaft auf den Krieg ausgerichtet. Viele Ressourcen müssen für die Selbstverteidigung der Gesellschaft gegen den IS und den türkischen Faschismus aufgebracht werden. Diese stehen dann für andere Bereiche weniger zur Verfügung. Gleichzeitig forderte der Krieg das Leben vieler tausend Kämpfer*innen, besonders jüngerer Menschen. Diese Kraft der Jugendlichen, ihre Kreativität, ihr Wille eine neue Gesellschaft aufzubauen und zu verteidigen, fehlt natürlich enorm. Und mit der Besatzung Afrins durch den türkischen Faschismus und den weiteren Angriffsplänen wird sich leider auch in Zukunft nicht viel an dieser Situation ändern.
Ein entscheidender Punkt ist zudem, dass der Krieg Unsicherheit mit sich bringt. Das erschwert es, neue und langfristige Projekte zu beginnen. Wir selbst erleben das immer wieder, dass wir langfristige Pläne für die ökologischen Arbeiten machen, welche dann kurzfristig aufgrund konkreter Bedrohungen verschoben werden müssen. Und dieser Zustand betrifft natürlich nicht nur uns in der Internationalistischen Kommune, sondern die ganze Gesellschaft.
¿Wie kann die Klimagerechtigkeitsbewegung in Europa «Make Rojava Green Again» konkret unterstützen? Hier gibt es ja viele Menschen, die selbst alternative ökologische Projekte aufgebaut haben und dadurch viel Wissen haben.
Es gibt auf jeden Fall viele Möglichkeiten, uns zu unterstützen. Zu einigen konkreten Fragen brauchen wir Know-How und auch Menschen, die nach Rojava kommen, um Projekte umzusetzen. Beispiele sind der Bau von Windkraftanlagen oder in der Vergangenheit die Installation des Abwassersystems, bei denen wir auf Erfahrungen aus Palästina zurückgreifen konnten. Eine der besten Möglichkeiten, die Arbeiten hier zu unterstützen, ist jedoch durch Spenden. Mit dem Spendengeld können wir unter anderem Bäume pflanzen und alles was dazugehört, wie etwa Bewässerungsanlagen, organisieren.
Darüber hinaus, und das ist ein sehr wichtiger Punkt, den wir nicht oft genug unterstreichen können: Die Revolution in Rojava muss auf allen Ebenen und an allen Orten verteidigt werden. Die Türkei wird über kurz oder lang alles daransetzen, dieses Projekt zu zerstören. Denn das Modell einer ökologischen und demokratischen Gesellschaft in Rojava steht im Gegensatz zum faschistischen, türkischen Staat. Er stellt zurzeit die größte Bedrohung dar.
Die Klimabewegung kann sich mit ihrem spezifischen Ausdruck und ihrer Thematik an den Protesten und Aktionen gegen den Krieg der Türkei gegen Rojava beteiligen. Neben der Verteidigung des Projekts Rojavas als Aufbau einer ökologischen Gesellschaft, ist jeder Krieg immer auch ein Krieg gegen die Natur. Diese Themen sollten aufgegriffen werden.
Was wir im Grunde wollen ist, verschiedene Bewegungen und die Revolution wirklich zusammen zu bringen. Nicht nur eine gegenseitige Solidarität und Bezugnahme, sondern das Bewusstsein des gemeinsamen Kampfes ist wichtig. In diesem Sinne verstehen wir unsere Arbeiten als einen Teil eines weltweiten Kampfes für eine ökologische Gesellschaft. Und in Zeiten des globalen Kapitalismus und Klimawandels müssen wir unsere Kräfte bündeln. Auf dieser Grundlage bedeutet die Unterstützung der Kampagne «Make Rojava Green Again» auch die Verteidigung der Revolution.
Spenden:
Empfänger: Xarxa Autogestió Social SCCL
IBAN: ES43 1491 0001 2420 8685 5729
BIC/SWIFT: TRIOESMMXXX
Bank: Triodos Bank
Referenz: deposit P3NIA
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Zum Weiterlesen:
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